Zuverlässigkeit der Bindung einer figurenbezogenen Tatsache

Zuverlässigkeit der Bindung einer figurenbezogenen Tatsache: Eigenschaft einer figurenbezogenen Tatsache: Zuverlässig ist eine Bindung, wenn die Quelle ihrer Zuschreibung zuverlässig ist.
Es handelt sich um keinen quantifizierbaren Wert, sondern nur um Vergleiche in der Form ‚diese Quelle ist unzuverlässiger als jene’, zumeist wohl nur in der Form: ‚der Erzähler ist unzuverlässiger als der zuverlässige Erzähler, wie man ihn sonst kennt’. Handelt es sich nicht um einen unzuverlässigen Erzähler, sind die Informationen, die dem Erzähler zugeordnet werden können, meist zuverlässiger als die, die von Figuren stammen.
Zuverlässigkeit und Modus sind unabhängig voneinander festlegbar. Am Anfang des Blonden Eckberts heißt es z.B. „Sein Weib liebte die Einsamkeit ebensosehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben“ (Der blonde Eckbert S. 7). Die erste Information, ‚Berta liebt die Einsamkeit wie Eckbert’, ist sehr zuverlässig und faktisch. Die zweite Information, ‚Berta und Eckbert lieben sich’, ist ebenfalls faktisch, aber deutlich weniger zuverlässig. Aus dem Umstand, dass der Erzähler am Anfang dieses Textes einige Informationen mit hoher und andere mit sehr viel geringerer Zuverlässigkeit angibt, und aufgrund des Umstands, dass ‚scheinen’ impliziert, es sei in Wirklichkeit anders, kann der Leser den Schluss ziehen, ‚Berta und Eckbert lieben sich nicht oder nicht richtig’. Diese Information ist relativ zuverlässig und faktisch.
Textbeispiel:
Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb, daß des widerwärtigen Wetterglashändlers Coppola Gestalt recht feindlich in sein Leben getreten sei. Alle fühlten das, da Nathanael gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus verändert sich zeigte.
E.T.A Hoffmann: Der Sandmann
Erläuterung:
In diesem Abschnitt aus dem Sandmann geht es um die zentrale Frage der Erzählung, ob eine Figur namens „Coppola“ Nathanael tatsächlich bedroht oder ob er sich das nur einbildet. Durch die Formulierung „Recht hatte Nathanael aber doch“ scheint der Erzähler Nathanaels Gleichsetzung Coppolas mit dem augenausstechenden Sandmann, die ihm so große Angst einflößt, als zuverlässige Figureninformation zu kennzeichnen. Durch das „alle fühlten das“ des folgenden Satzes wird die Zuverlässigkeit jedoch sofort wieder zurückgenommen, indem nicht die Information über Coppola, sondern die verheerende Auswirkung dieser Angstvorstellungen auf Nathanaels Fühlen und Handeln bekräftigt wird.
Fragestellung:
Was lässt sich über die Zuverlässigkeit der Aussage „Josefine ist eine Sängerin“ sagen? Beschreiben Sie den Status der figurenbezogenen Tatsachen und sehen Sie sich dann die Musterlösung an.
Textbeispiel:
Unsere Sängerin heißt Josefine. Wer sie nicht gehört hat, kennt nicht die Macht des Gesanges. Es gibt niemanden, den ihr Gesang nicht fortreißt, was um so höher zu bewerten ist, als unser Geschlecht im ganzen Musik nicht liebt. […] Ist es denn überhaupt Gesang? Ist es nicht vielleicht doch nur ein Pfeifen? Und Pfeifen allerdings kennen wir alle, es ist die eigentliche Kunstfertigkeit unseres Volkes, oder vielmehr gar keine Fertigkeit, sondern eine charakteristische Lebensäußerung. Alle pfeifen wir, aber freilich denkt niemand daran, das als Kunst auszugeben, wir pfeifen, ohne darauf zu achten, ja ohne es zu merken, und es gibt sogar viele unter uns, die gar nicht wissen, daß das Pfeifen zu unsern Eigentümlichkeiten gehört. Wenn es also wahr wäre, daß Josefine nicht singt, sondern nur pfeift und vielleicht gar, wie es mir wenigstens scheint, über die Grenzen des üblichen Pfeifens kaum hinauskommt - ja vielleicht reicht ihre Kraft für dieses übliche Pfeifen nicht einmal ganz hin, während es ein gewöhnlicher Erdarbeiter ohne Mühe den ganzen Tag über neben seiner Arbeit zustande bringt -, wenn das alles wahr wäre, dann wäre zwar Josefinens angebliche Künstlerschaft widerlegt, aber es wäre dann erst recht das Rätsel ihrer großen Wirkung zu lösen.
Franz Kafka: Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse
Ihre Formulierung:
Zunächst ist die figurenbezogene Tatsache, dass Josefine eine Sängerin ist und selbstverständlich singen kann zuverlässig gegeben, indem das ‚Sängerinsein’ im Akt der Benennung enthalten ist. Der Erzähler stellt dann aber die Frage, ob es sich bei den Geräuschen, die Josefine von sich gibt, nicht eher um ein Pfeifen als um Gesang handelt. Damit wird die Information unzuverlässig und die selbstverständliche Implikation, dass eine Sängerin singen kann, in Frage gestellt.

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