Nebentext: Der Textteil des Dramas, der von den Figuren nicht gesprochen wird und der vor allem
der Steuerung der Aufführung dient.
Als Nebentext lassen sich Titel, Untertitel, Gattungsbezeichnung, dramatis personae,
Regieanweisungen, Gliederungshinweise (Akt-, Szenenangaben), Nachworte und weitere
Epigraphe lesen. Sie enthalten wichtige Informationen über den Ablauf der Handlung,
die dem Zuschauer im Theater jedoch performativ, also in ihrer Realisierung als Gesten,
Aktionen oder auch Bühnenbilder und ‚Vorhänge’, präsentiert werden. Nebentexte richten
sich also an Schauspieler und Spielleitung, um die Einbettung des gesprochenen Dramentextes
in bestimmte Situationen deutlich zu machen und so eine Aufführung möglichst nahe
an der ursprünglichen Intention zu gewährleisten. Dabei erscheinen sie oft weniger
bindend in ihrer Umsetzung durch die jeweilige Inszenierung als der Haupttext.
Das Verhältnis von Haupt- und Nebentext unterliegt historischem Wandel, da einerseits
Nebentexte an Bedeutung gewinnen, wenn der Autor des Stückes dieses nicht selbst zur
Aufführung bringt, wie es z. B. bei Shakespeare der Fall war, sondern sich von der
Theaterpraxis entfernt. Auch spielt die rein lesende Rezeption dabei eine Rolle, also
die Verbreitung des Stückes als Text. Im klassischen Drama gibt es noch recht wenige
Anweisungen, wohingegen im 19. Jahrhundert diese an Bedeutung und Umfang gewinnen,
so dass in naturalistischen Dramen die Nebentexte beinahe quantitativ an den Haupttext
heranreichen.
Im 20. Jahrhundert gibt es verschiedene Möglichkeiten, denn einerseits etabliert sich
mehr und mehr ein primär dramatischer Zugang zum Drama, der weniger den Text als vielmehr
die Handlung vorgibt, so dass es zu Formen von Theater kommt, die primär keinen Haupttext
haben (Beckett: „Acte sans paroles“, Improvisationstheater), andererseits entstehen
doch auch wieder Dramen, die sehr viel Wert auf die Wortwahl der Figuren legen. Hier
können Haupt- und Nebentext wieder in ein hierarchisches Verhältnis kommen, wie es
die Begriffe zunächst implizieren, gerade auch weil diese Dramen um die Praktiken
des Regietheaters wissen, das sich primär am Haupttext orientiert.
Am folgenden Textbeispiel können Sie erkennen, wie wichtig Nebentexte für ein Drama
sein können.
Textbeispiel:
ERSTER AKT
Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf
bäurische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Esstisch ein Gemälde, darstellend
einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Bluse geleitet.
Miele, eine robuste Bauernmagd mit rotem, etwas stumpfsinnigen Gesicht; sie öffnet
die Mitteltür und lässt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig,
untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes
Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht
ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch
nichts weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen, Stock.
MIELE. Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nicht Platz nehmen?!
Die Glastür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein Bauernweib, im Gesicht blaurot
vor Wut, stürzt herein. Sie ist nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte
rote Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rotes punktiertes Brusttuch. Alter: Anfang
Vierzig – Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze Gestalt sonst gut konserviert.