Wieland und der Roman

Wielands erster Roman Der Sieg der Natur über die Schwärmerey oder Die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva (1764) gilt als der erste »moderne« deutsche Roman. Seine erzähltechnische Neuerung bestand im Hervortreten eines Erzählers, der nicht mit einer Romanfigur oder dem Autor identisch ist. Dieser Erzähler bringt eine eigene, von der Handlungsebene abgehobene Ebene in den Roman ein. Zudem reflektiert und kommentiert er das Romangeschehen sowie die Figuren und gibt Urteile zu ihnen ab.
In der Vorrede seines zweiten Romans, Die Geschichte des Agathon (1766/67), formulierte Wieland die Grundidee des »Bildungsromans«, nämlich die Darstellung der inneren Entwicklung eines Charakters in ihrer Beeinflussung durch die äußeren Lebensbedingungen. Der Erzähler spielt hier erneut eine wesentliche Rolle und die Handlungschronologie wird durch zahlreiche Rückblicke systematisch verschachtelt. Am Schluss des Werks wird in der rein reflektierenden Darlegung eines philosophischen Systems dargelegt, wie das richtige Leben aussehen müsste.
Wielands darauffolgender Roman Der goldne Spiegel (1772) bildet ein Gegenmodell zum Agathon. Er reiht sich in die Tradition des Fürstenspiegels und des Staatsromans ein, wobei ihm die Idee eines Staates im Sinne des aufgeklärten Absolutismus zugrundeliegt. Der Mensch beziehungsweise der Fürst erscheint darin als erziehungsfähig und -bedürftig. Diese Erziehung soll sich im Wesentlichen an den Verstand richten und darf sich nicht den unklaren und diffusen Kräften der Außenwelt überlassen.
Die Geschichte des weisen Danischmend (1775) stellt wiederum ein Gegenbild zu Der goldne Spiegel dar, dessen Themen darin aufgegriffen und ironisiert werden. Wieland arbeitet darin mit einer Unmenge an Fußnoten und ironisch kommentierenden Bemerkungen, welche die Hauptgeschichte zurückdrängen.
In seiner Geschichte der Abderiten (seit 1774) präsentierte Wieland nochmals eine neue Form des Romans, diesmal als lockere, über mehrere Jahre hinweg veröffentlichte Sammlung von Gedichten. Auch in diesem Werk stellte er seine Welt- und Menschensicht vor, laut der die Menschen nicht schlecht, aber närrisch und ungeschickt sind.
Vgl. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte, S. 90-92.

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