Repetitives Erzählen

Repetitives Erzählen: Beim repetitiven Erzählen wird ein Ereignis wiederholt erzählt, das einmal geschehen ist (n-mal erzählen, was einmal geschehen ist).
Das recht seltene repetitive Erzählen widmet also einem bestimmten Ereignis der Geschichte die wiederholte Aufmerksamkeit des Discours, womit diesem Ereignis natürlich auch die besondere Aufmerksamkeit des Lesers zukommt.
Textbeispiel:
„Musst du heute nachmittag nicht mehr arbeiten?“, sagte sie ebenso leichthin.
„Es gibt nur noch eine langweilige Ausschußsitzung, auf die ich gut und gerne verzichten kann“, sagte er. „Wir könnten in dein gemütliches kleines Schlafzimmer hinaufgehen und ein wenig abliegen.“
Helen lässt den Wein langsam in ihrem Glas kreisen. „Ich habe dir gesagt, ich will keine Affäre mit dir, Ralph.“
„Warum nicht?“
„Ich kann Ehebruch nicht billigen.“
„Naja, solange es nicht deswegen ist, weil du mich unattraktiv findest“, sagte er.
David Lodge: Thinks
Erläuterung:
So berichtet der Erzähler aus David Lodges Campus-Novel Thinks (dt. Denkt) von der hier noch verhinderten ‚Liebe am Nachmittag’ zwischen dem verheirateten Kognitionswissenschaftler Ralph und der verwitweten Schriftstellerin Helen. Doch sie führt Tagebuch, und er diktiert tagebuchähnliche Memos, die im Roman ebenfalls präsentiert werden:
Textbeispiel:
[Helens Tagebuch] Freitag, 21. März. Ralph ist gerade gegangen, nachdem er versucht hat, mich ins Bett zu bekommen - was ihm nicht gelungen ist. Es war knapp, viel knapper, als er sich vorstellen konnte, vermute ich.
David Lodge: Thinks
Erläuterung:
Und etwas später:
Textbeispiel:
[Ralphs Tonband] [...] Kein Zweifel, sie wollte mich sehen, aber unglücklicherweise hat sie Skrupel, mit mir zu ficken...Schade, ich bin wirklich scharf auf sie ...
Also gab es für mich statt Liebe am Nachmittag drei tödlich langweilige Stunden mit der Arbeitsgruppe des Senats zur interfakultären, modularen Kompatibilität.
David Lodge: Thinks
Erläuterung:
Ein und dasselbe Ereignis (bzw. seine Verhinderung) wird hier in drei Versionen erzählt, sodass nicht nur das Ereignis selbst, sondern auch seine Handlungsträger, das außereheliche Paar, und ihr Verhältnis zu dem Ereignis dargestellt werden können - ein durchaus übliches Ziel
repetitiven Erzählens,
Repetitives Erzählen
Beim repetitiven Erzählen wird ein Ereignis wiederholt erzählt, das einmal geschehen ist (n-mal erzählen, was einmal geschehen ist).
wie es hier offenkundig vorliegt.
Fragestellung:
So beginnt Uwe Johnsons erster veröffentlichter Roman Mutmassungen über Jakob. Ganz offensichtlich beschäftigen sich hier gleich mehrere ‚Stimmen’ mit ein und demselben Ereignis.
Textbeispiel:
Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen.
- Aber er ist doch immer quer über die Rangiergleise und die Ausfahrt gegangen, warum, aussen auf der anderen Seite um den Bahnhof bis zum Strassenübergang hätt er eine halbe Stunde länger gebraucht bis zur Strassenbahn. Und er war sieben Jahre bei der Eisenbahn.
- Nun sieh dir mal das Wetter an, so ein November, kannst keine zehn Schritt weit sehen vor Nebel, besonders am Morgen, und alles so glatt. Da kann einer leicht ausrutschen. So ein Krümel Rangierlok ist dann beinah gar nicht zu hören, sehen kannst sie noch weniger.
- Jakob war sieben Jahre bei der Eisenbahn will ich dir sagen, und wenn irgend wo sich was gerührt hat was auf Schienen fahren konnte, dann hat er das wohl genau gehört.
Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob (Beginn)
Obgleich es in einem bestimmten Sinne auch zutreffend ist. Das Ereignis, um das es dem Erzähler (in der ersten Textzeile) und den drei ‚Zeugen-Stimmen’ - und dem Roman insgesamt - offensichtlich geht, ist, so können wir schließen, der schwer begreifliche Tod des Bahnarbeiters Jakob, der nachts im Nebel von einer Rangierlok überfahren worden ist. Erzählt wird dieses zentrale Ereignis aber gerade nicht. - Zurecht kann man aber behaupten, dass repetitiv von Jakobs Gewohnheiten erzählt wird, insbesondere der, zur Abkürzung quer über die Gleise zu gehen.Zumindest gibt es gute Gründe, das anzunehmen. Denn das Ereignis, um das es dem Erzähler (in der ersten Textzeile) und den drei ‚Zeugen-Stimmen’ - und dem Roman insgesamt - offensichtlich geht, ist, so können wir schließen, der schwer begreifliche Tod des Bahnarbeiters Jakob, der nachts im Nebel von einer Rangierlok überfahren worden ist. Erzählt wird dieses zentrale Ereignis aber gerade nicht. - Zurecht kann man aber behaupten, dass repetitiv von Jakobs Gewohnheiten erzählt wird, insbesondere der, zur Abkürzung quer über die Gleise zu gehen.

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