Textbeispiel:
Chor: O schröcklich zu sehen ein Schmerz für Menschen,
O schröcklichster von allen, so viel
Ich getroffen schon. Was ist, o Armer!
Dir gekommen ein Wahnsinn? welcher Dämon
Geleitete, den größesten, dich
Zu deinem tödlichen Schicksal?
Ach! ach! du Armer, aber ansehn kann
Ich nicht dich, vieles will ich sagen,
Viel raten, viel betrachten,
Solch einen Schauder machest du mir.
Ödipus: Weh! Weh! Weh! Weh!
Ach! ich Unglücklicher! Wohin auf Erden
Werd ich getragen, ich Leidender?
Wo breitet sich um und bringt mich die Stimme?
Io! Dämon! wo reißest du hin?
Chor: In Gewaltiges, unerhört, unsichtbar.
Ödipus: Io! Nachtwolke mein! Du furchtbare,
Umwogend, unaussprechlich, unbezähmt,
Unüberwältiget! o mir! o mir!
Wie fährt in mich zugleich
Mit diesen Stacheln
Ein Treiben und Erinnerung der Übel!
Chor: Ein Wunder ist's in solchem Unglück nicht,
Daß zweifach du aufjammerst, zweifach Übel trägst!
Ödipus Io, Lieber, der du mich
Geleitest, noch mir bleibend!
Denn jetzt noch duldest du mich,
Den Blinden besorgend. Ach! Ach!
Denn nicht verborgen mir bist du und wohl,
Obgleich im Dunkeln, kenn ich deine Stimme.
Chor: O der du tatst Gewaltiges! wie konntest du
Dein Auge so beflecken, welcher Dämon trieb dich?
Ödipus: Apollon war's, Apollon, o ihr Lieben,
Der solch Unglück vollbracht,
Hier meine, meine Leiden.
Es äffet kein Selbstmörder ihn,
Ich Leidender aber,
Was sollt ich sehn,
Dem sehend nichts zu schauen süß war.
Chor Es war so, wie auch du sprichst.
Ödipus: Was hab ich noch zu sehen und zu lieben,
Was Freundliches zu hören? ihr Lieben!
Führt aus dem Orte geschwind mich,
Führt, o ihr Lieben! den ganz Nichtswürdigen,
Den Verfluchtesten und auch
Den Göttern verhaßt am meisten unter den Menschen.
Sophokles: König Ödipus
Textbeispiel:
Ferdinand. Keine Rettung, mußt jetzt schon dahin - aber sei ruhig. Wir machen die Reise zusammen.
Luise. Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir! O Gott, vergiß es ihm - Gott der Gnade,
nimm die Sünde von ihm -
Ferdinand. Sieh du nach deinen Rechnungen - Ich fürchte, sie stehen übel.
Luise. Ferdinand! Ferdinand! - O - Nun kann ich nicht mehr schweigen - Der Tod - der Tod
hebt alle Eide auf - Ferdinand! - Himmel und Erde hat nichts Unglückseligeres als
dich! - Ich sterbe unschuldig, Ferdinand.
Ferdinand(erschrocken). Was sagt sie da? - Eine Lüge pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?
Luise. Ich lüge nicht - lüge nicht - hab' nur einmal gelogen mein Lebenlang - Huh! wie das eiskalt durch meine Adern schauert - - als
ich den Brief schrieb an den Hofmarschall -
Ferdinand. Ha! Dieser Brief! - Gottlob! Jetzt hab' ich all meine Mannheit wieder.
Luise(ihre Zunge wird schwerer, ihre Finger fangen an gichterisch zu zucken). Dieser Brief - Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu hören - Meine Hand schrieb,
was mein Herz verdammte - dein Vater hat ihn dictiert.
Ferdinand (starr und einer Bildsäule gleich, in langer todter Pause hingewurzelt, fällt endlich
wie von einem Donnerschlag nieder).
Luise. O des kläglichen Mißverstands - Ferdinand - man zwang mich - vergib - deine Luise
hätte den Tod vorgezogen - aber mein Vater - die Gefahr - sie machten es listig.
Ferdinand(schrecklich emporgeworfen). Gelobet sei Gott! noch spür' und das Gift nicht. (Er reißt den Degen heraus.)
Luise(von Schwäche zu Schwäche sinkend). Weh! Was beginnst du? Es ist dein Vater -
Ferdinand(im Ausdruck der unbändigsten Wuth). Mörder und Mördervater! - Mit muß er, daß der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase. (Will hinaus.)
Luise. Sterbend vergab mein Erlöser - Heil über dich und ihn (Sie stirbt.)
Ferdinand(kehrt schnell um, wird ihre letzte sterbende Bewegung gewahr und fällt in Schmerz
aufgelöst vor der Todten nieder). Halt! Halt! Entspringe mir nicht, Engel des Himmels! (Er faßt ihre Hand an und läßt sie schnell wie fallen.) Kalt, kalt und feucht! Ihre Seele ist dahin. (Er springt wieder auf.) Gott meiner Luise! Gnade! Gnade dem verruchtesten der Mörder! Es war ihr letztes
Gebet! - - Wie reizend und schön auch ihr Leichnam! Der gerührte Würger ging schonend
über diese freundlichen Wangen hin - Diese Sanftmuth war keine Larve, sie hat auch
dem Tod Stand gehalten. (Nach einer Pause.) Aber wie? Warum fühl' ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend mich retten? Undankbare
Mühe! Das ist meine Meinung nicht. (Er greift nach dem Glase.)
Friedrich Schiller: Kabale und Liebe, 5. Akt,7. Szene
Textbeispiel:
Theodor Ich bin sehr... Mit Tränen in der Stimme Ich hab' das nicht geahnt...
ChristineWas nicht geahnt? – Daß ich ihn geliebt habe? – Weiring zieht sie an sich; Theodor sieht vor sich hin. Mizi steht bei Christine.
Christinesich von Weiring losmachend Führen Sie mich zu seinem Grab!
Weiring Nein, nein –
Mizi Geh nicht hin, Christin' –
Theodor Christine... später... morgen... bis Sie ruhiger geworden sind –
Christine Morgen? – Wenn ich ruhiger sein werde?! – Und in einem Monat ganz getröstet, wie?
– Und in einem halben Jahr kann ich wieder lachen, was –? Auflachend Und wann kommt denn der nächste Liebhaber?...
Weiring Christin'...
Christine Bleiben Sie nur... ich find' den Weg auch allein...
Weiring Geh nicht.
Mizi Geh nicht.
Christine Es ist sogar besser... wenn ich... Laßt mich, laßt mich.
Weiring Christin', bleib...
Mizi Geh nicht hin! – Vielleicht findest du grad die andere dort – beten.
Christine vor sich hin, starren Blickes Ich will dort nicht beten... nein... Sie stürzt ab... die anderen anfangs sprachlos.
Weiring Eilen Sie ihr nach.
Theodor und Mizi ihr nach.
Weiring Ich kann nicht, ich kann nicht... Er geht mühsam von der Tür bis zum Fenster Was will sie... was will sie... Er sieht durchs Fenster ins Leere Sie kommt nicht wieder – sie kommt nicht wieder! – Er sinkt laut schluchzend zu Boden.
Arthur Schnitzler: Liebelei, 3. Akt