Texttheoretische Aspekte
Im Sinne grundlegender texttheoretischer Überlegungen ist festzuhalten, dass für die
‚möglichen Welten’ bzw. – enger gefasst – die möglichen Erfahrungs- und Handlungssituationen,
die von Lyrik-Texten entworfen werden, wie für alle fiktionalen Texte die Kategorien
von Zeit und Raum, Figur und Geschehen sowie textspezifische Werte- und Normensysteme
gelten und dass die ‚Darbietung’ bzw. die ‚Vermittlung’ dieser Zusammenhänge in unterschiedlicher
Weise an gestaffelte Vermittlungsinstanzen gebunden ist: an den realen Autor (Kommunikationsebene
1, im folgenden „K“), an das Konstrukt eines abstrakten Autors (K2), an die textuell
markierte Instanz eines Sprechers (K3), der die Rede (die das Gedicht ausmacht) führt
und der seine ‚Stimme’ (im Sinne von Gérard Genette Die Erzählung) auch an Figuren in der Geschehensebene, der Ebene des Dargestellten (K4), abgegeben
oder der zugleich selbst als Figur in der Geschehensebene auftreten kann. Es ist kennzeichnend
für das Korpus der Texte, die der Lyrik zugerechnet werden, dass zum einen Texte zu
finden sind, in denen die Rede wie in Erzählungen organisiert ist (mit einer auf K3
markierten Sprecher/Erzähler-Instanz), und zum anderen Texte, die – wie das Drama
– nur Figuren-Rede (auf K4) nutzen – etwa im Rollengedicht, im dramatischen Monolog.
Mit der Frage nach einer besonderen ‚Vermitteltheit’ der Rede, mit der sich die Redeweise
in Dramen (als Mimesis bzw.
‚showing’) gegenüber der Redeweise in Erzähltexten (als Diegesis bzw.
‚telling’ ) unterscheiden lässt, ergeben sich also keine systematisch zu entwickelnden Differenzkriterien
für Lyrik. In pragmatischer Sicht sind dennoch Besonderheiten zu bestimmen, aus denen
sich auch Verfahrensweisen für die Analyse von Lyrik-Texten ableiten lassen (siehe
unter ‚Organisationsmuster der Vermittlung’ und ‚Narrative Strukturen’).
© Hamburg / Letzte inhaltliche Änderung am: 28.12.2005
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