Lyrische Einlage

Lyrische Einlage: In lyrischen Versmaßen gestalteter, meist monologischer Abschnitt im Drama, der als zitierte Kunst eine reflexive Funktion einnimmt.
Ähnlich wie das Spiel im Spiel verweist auch eine lyrisches Einlage auf die dezidiert ästhetische Präsentation ihres Inhalts. Allerdings wird diese meist
monolog
Monolog
Selbstgespräch einer Bühnenfigur, hauptsächlich auf die sprechende Person, ihre Situation und ihren Konflikt abzielend, dabei nicht an andere Bühnenfiguren adressiert.
isch von einer Bühnenfigur gesprochen. Dabei kann sowohl das eigene Kunstverständnis der Figur aufgezeigt werden, wie auch eine Entscheidung mit diesem (fiktiven) Zitat herbeigeführt oder begründet werden. Die Einlage stammt in der Regel vom Autor des Dramas, es ist aber auch möglich, Texte anderer Autoren aufzunehmen und so kontextuell zu funktionalisieren.
Erläuterung:
In ihrem „Parzenlied“ reflektiert Iphigenie als Mitglied der Attriden-Dynastie und als Priesterin das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen. Im Kontext der dramatischen Situation hat sich zwar eine mögliche Lösung angedeutet, sie bliebe jedoch teilweise unbefriedigend. Als gesteigerten Ausdruck der Unzufriedenheit darüber, die jedoch die Einsicht darin voraussetzt, zitiert Iphigenie das Lied:
Textbeispiel:
IPHIGENIE:
Es fürchte die Götter
Das Menschengeschlecht!
Sie halten die Herrschaft
In ewigen Händen
Und können sie brauchen,
Wie's ihnen gefällt.
Der fürchte sie doppelt
Den je sie erheben!
Auf Klippen und Wolken
Sind Stühle bereitet
Um goldene Tische.
Erhebet ein Zwist sich:
So stürzen die Gäste
Geschmäht und geschändet
In nächtliche Tiefen,
Und harren vergebens,
Im Finstern gebunden,
Gerechten Gerichtes.
Sie aber, sie bleiben
In ewigen Festen
An goldenen Tischen.
Sie schreiten vom Berge
Zu Bergen hinüber:
Aus Schlünden der Tiefe
Dampft ihnen der Atem
Erstickter Titanen,
Gleich Opfergerüchen,
Ein leichtes Gewölke.
Es wenden die Herrscher
Ihr segnendes Auge
Von ganzen Geschlechtern,
Und meiden, im Enkel
Die eh’mals geliebten,
Still redenden Züge
Des Ahnherrn zu sehn.
So sangen die Parzen;
Es horcht der Verbannte
In nächtlichen Höhlen
Der Alte die Lieder,
Denkt Kinder und Enkel
Und schüttelt das Haupt.
Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris, IV. Aufzug, 5. Auftritt, 2. Teil

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Lyrische Einlage
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