Teichoskopie

Teichoskopie: Mauerschau. Mündlicher Bericht einer Bühnenfigur von einem räumlich nahen, zeitgleichen, jedoch für Publikum und weiteres Bühnenpersonal nicht offen sichtbaren, handlungstragendem Ereignis.
Der Begriff Mauerschau lehnt sich an Homers Ilias an, wo Helena von der trojanischen Stadtmauer aus die griechischen Helden für Priamos beschreibt.
Im Drama handelt es sich dabei um eine reportagehafte Schilderung von simultan stattfindenden Ereignissen. Diese sind – ähnlich wie die dem
Botenbericht
Botenbericht
Fiktionsinterne sprachliche Darstellung eines zum Zeitpunkt der Präsentation vergangenen, für die Haupthandlung bedeutenden Ereignisses.
zu Grunde liegenden – oft nicht oder nur schwer auf der Bühne darzustellen. Entsprechend kann ihre Vermittlung die direkten Konsequenzen in die Handlung integrieren, ohne sie selbst auf die Bühne bringen zu müssen.
Zwar ist der Bericht an die anderen, auf der Bühne anwesenden Figuren gerichtet und kann von diesen mit Fragen oder Anmerkungen unterbrochen werden, jedoch hat er durchaus
monologische
Monolog
Selbstgespräch einer Bühnenfigur, hauptsächlich auf die sprechende Person, ihre Situation und ihren Konflikt abzielend, dabei nicht an andere Bühnenfiguren adressiert.
Qualität, da ein Sprecher über längere zeit einen Sachverhalt erzählt, der dann zu weiterer Handlung führt.
Teichoskopisch können aber auch mehrere Figuren bzw. der
Chor
Chor
Eine Gruppe von Sprechern im Drama, die nur als Kollektiv spricht
sprechen, gleichermaßen kann so auch eine Figur beschrieben und in die Handlung eingeführt werden.
Textbeispiel:
Gleich so saßen der Troer Gebietende dort auf dem Turme.
Als sie nunmehr die Helena sahn zum Turme sich wenden;
[…]
Also die Greis'; und Priamos rief der Helena jetzo:
Komm doch näher heran, mein Töchterchen, setze dich zu mir;
Daß du schaust den ersten Gemahl, und die Freund' und Verwandten!
Du nicht trägst mir die Schuld; die Unsterblichen sind es mir schuldig
Welche mir zugesandt den bejammerten Krieg der Achaier!
Daß du auch jenes Manns, des gewaltigen, Namen mir nennest,
Wer doch dort der Achaier so groß und herrlich hervorprangt!
Zwar es ragen an Haupt noch andere höher denn jener;
Doch so schön ist keiner mir je erschienen vor Augen,
Noch so edler Gestalt; denn königlich scheint er von Ansehn!
Aber Helena sprach, die edle der Fraun, ihm erwidernd:
Ehrenwert mir bist du, o teurer Schwäher, und furchtbar
Hätte der Tod mir gefallen, der herbeste, ehe denn hieher
Deinem Sohn ich gefolgt, das Gemach und die Freunde verlassend,
Und mein einziges Kind, und die holde Schar der Gespielen!
Doch nicht solches geschah; und nun in Tränen verschwinde ich!...
Jetzo will ich dir sagen, was du mich fragst und erforschest.
Jener ist der Atreide, der Völkerfürst Agamemnon,
Beides, ein trefflicher König zugleich, und ein tapferer Streiter.
Schwager mir war er vordem, der Schändlichen; ach, er war es!
Jene sprach's; und der Greis bewundert ihn, laut ausrufend:
Seliger Atreion', o gesegneter, glücklichgeborner!
Wahrlich doch unzählbar gehorchen dir Männer Achaias!
Vormals zog ich selber in Phrygiens Rebengefilde,
Wo ich ein großes Heer gaultummelnder phrygischer Männer
Schauete, Otreus Volk und des götterähnlichen Mygdon,
Welches umher am Gestade Sangarios weit sich gelagert;
Denn ich ward als Bundesgenoss' mit ihnen gerechnet,
Jenes Tags, da die Hord' amazonischer Männinnen einbrach:
Doch war minder die Zahl, wie der freudigen Krieger Achaias!
Jetzo erblickt' Odysseus der Greis, und fragte von neuem:
Nenne mir nun auch jenen, mein Töchterchen; siehe, wie heißt er?
Weniger ragt er an Haupt, als Atreus Sohn Agamemnon,
Aber breiteres Wuchses an Brust und mächtigen Schultern.
Seine Wehr ist gestreckt zur nahrungsprossenden Erde;
Doch er selbst, wie ein Widder, umgeht die Scharen der Männer:
Gleich dem Bock erscheinet er mir, dickwolliges Vlieses,
Welcher die große Trift weißschimmernder Schafe durchwandelt.
Ihm antwortete Helena drauf, Zeus' liebliche Tochter:
Der ist Laertes Sohn, der erfindungsreiche Odysseus,
Welcher in Ithakas Reich aufwuchs, des felsichten Eilands,
Wohlgeübt in mancherlei List und verschlagenem Rate.
Homer: Ilias, Auszug aus dem dritten Gesang
Fragestellung:
Begründen Sie, warum folgende Szene als Mauerschau gestaltet ist.
Textbeispiel:
Der HAUPTMANN. Eine Schaar von GRIECHEN.
(welche während dessen einen Hügel bestiegen haben).
EIN MYRMIDONIER. (in die Gegend schauend.)
Seht! Steigt dort über jenes Berges Rücken,
Ein Haupt nicht, ein bewaffnetes, empor?
Ein Helm, von Federbüschen überschattet?
Der Nacken schon, der mächt'ge, der es trägt?
Die Schultern auch, die Arme, stahlumglänzt?
Das ganze Brustgebild, O seht doch, Freunde,
Bis wo den Leib der gold'ne Gurt umschließt?
DER HAUPTMANN.
Ha! Wessen!
DER MYRMIDONIER.
Wessen! Träum' ich, ihr Argiver?
Die Häupter sieht man schon, geschmückt mit Blessen,
Des Roßgespanns! Nur noch die Schenkel sind,
Die Hufen, von der Höhe Rand bedeckt!
Jetzt, auf dem Horizonte, steht das ganze
Kriegsfahrzeug da! So geht die Sonne prachtvoll
An einem heitern Frühlingstage auf!
DIE GRIECHEN.
Triumph! Achilleus ist's! Der Göttersohn!
Selbst die Quadriga führet er heran!
Er ist gerettet!
DER HAUPTMANN.
Ihr Olympischen!
So sei euch ew'ger Ruhm gegönnt! – Odysseus!
– Flieg Einer den argol'schen Fürsten nach!
(Ein Grieche schnell ab.)
Naht er sich uns, ihr Danaer?
DER MYRMIDONIER. O sieh!
DER HAUPTMANN.
Was giebt's?
DER MYRMIDONIER.
O mir vergeht der Athem, Hauptmann!
DER HAUPTMANN.
So rede, sprich!
DER MYRMIDONIER.
O, wie er mit der Linken
Vor über seiner Rosse Rücken geht!
Wie er die Geißel umschwingt über sie!
Wie sie von ihrem bloßen Klang erregt,
Der Erde Grund, die göttlichen, zerstampfen!
Am Zügel zieh'n sie, beim Lebendigen,
Mit ihrer Schlünde Dampf, das Fahrzeug fort!
Gehetzter Hirsche Flug ist schneller nicht!
Der Blick drängt unzerknickt sich durch die Räder,
Zur Scheibe fliegend eingedreht, nicht hin!
EIN ÄTOLIER.
Doch hinter ihm –
DER HAUPTMANN. Was?
DER MYRMIDONIER. An des Berges Saum –
DER ÄTOLIER.
Staub –
DER MYRMIDONIER.
Staub aufqualmend, wie Gewitterwolken:
Und, wie der Blitz vorzuckt –
DER ÄTOLIER. Ihr ew'gen Götter!
DER MYRMIDONIER.
Penthesilea.
DER HAUPTMANN. Wer?
DER ÄTOLIER. Die Königinn! –
Ihm auf dem Fuß, dem Peleïden, schon
Mit ihrem ganzen Troß von Weibern folgend.
DER HAUPTMANN.
Die rasende Megär'!
DIE GRIECHEN. (rufend) Hieher den Lauf!
Hieher den Lauf, du göttlicher gerichtet!
Auf uns den Lauf!
DER ÄTOLIER. Seht! wie sie mit den Schenkeln
Des Tiegers Leib inbrünstiglich umarmt!
Wie sie, bis auf die Mähn' herabgebeugt,
Hinweg die Luft trinkt lechzend, die sie hemmt!
Sie fliegt, wie von der Senne abgeschossen:
Numidsche Pfeile sind nicht hurtiger!
Das Heer bleibt keuchend, hinter ihr, wie Köter,
Wenn sich ganz aus die Dogge streckt, zurück!
Kaum daß ihr Federbusch ihr folgen kann!
Heinrich von Kleist: Penthesilea, 3.Aufzug
Ihre Formulierung:
Die Verfolgung des Achill durch Penthesilea mit Wagen und Pferd durch die geschilderte Landschaft ist in dieser Dramatik nicht auf die Bühne eines Theaters zu bringen, kann so kaum inszeniert werden. Mit der Schilderung jedoch kann das ganze dramatische Potenzial dem Publikum transportiert werden.

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