Lineare Textdarstellung

Die in der linearen Textdarstellung entwickelten Textstufen stehen jeweils am Ende einer Textphase. Ergibt sich keine wesentliche Abweichung zu vorhergehenden oder folgenden Textstufen, wird auf einen Textdruck verzichtet. Schließt die Entwicklung eines Textkomplexes mit einer Reinschrift oder einem autorisierten Druck ab, wird diese letzte Textstufe in größerer Schriftart gedruckt.
Die zugehörigen Zeichen finden Sie in folgender Tabelle:
Editorische Abkürzungen
Jede editorische Technik erfordert ihre Abkürzungen. An dieser Stelle finden Sie ein Beispiel. Welche Abkürzungen wirklich benötigt werden, entscheidet sich von Fall zu Fall. Die Abkürzungen variieren von Autor zu Autor.
Hs Handschrift
Hd Hand
D 10 Verzeichnis der Drucke mit Hölderlin Texten
Bl. Blatt
Dbl. Doppelblatt
210/3 Kennziffer und Seitenangabe der Handschrift
recto Vorderseite
verso Rückseite
v. Vers (versus)
l. Linie (linea; Zeile in Prosaentwürfen)
Z. Zeile
T Titel
Mglw. Möglicherweise
Vmtl. vermutlich
Editionsbeispiel und Editionsschritte
Als nächstes folgt ein Editionsbeispiel: Der Entwurf des Liedes An Landauer ist im Stuttgarter Foliobuch (6/47,46) überliefert.
Es handelt sich um die letzte Strophe des Liedes. Sie erfasst zunächst den zu Entwurfsphase 1 gehörenden Text. Die Rekonstruktion der einzelnen Überarbeitungsvorgänge erfolgt in diesem Beispiel in sechs Schritten. Zunächst werden alle Varianten der Strophen nach vermutlichen im Zeitablauf früherer und späterer Korrekturmaßnahmen von Hölderlin vorgestellt. Aus diesen einzelnen Vorstufen ergibt sich dann ein konstituierender Text.
Für jeden Vers sind Variantenziffern angegeben. Diesen entsprechen eben so viele Formulierungen.
Bei einer weitergehenden Lesearbeit lassen sich jene zusammenhängend gelesenen Versvarianten zu ganzen Strophenvorstufen verbinden. An gesicherten Stellen ist auf solche Beziehungen durch Pfeile und Gegenpfeile hingewiesen.
Schritt 1
Wahrscheinlich erste Notiz zur letzten Strophe:
Textbeispiel:
Aus Freude [-u-] Herzens
Denn
Daraus ergibt sich folgende erste vollständige Niederschrift der letzten Strophe:
Textbeispiel:
Doch sieh! Aus Freude singen wir von Sorgen,
Wie dunkler Wein, gefallt auch ernster Sang,
Das Fest verhallt und jedes gehet morgen
Auf schmalem Pfade seinen Gang.
Schritt 2
Bei der nun folgenden Überarbeitung[1]wird jenes "gefallt" 14,2 durch den neuen Versbeginn "Doch freut" 14,3 ersetzt. Danach muss aber der Anfang der ersten Zeile "Doch sieh!" 13,2 aufgehoben werden. Hölderlin kommt dabei auf die Wortfügung der ersten Notiz zurück.
Textbeispiel:
Aus Freude Lieber! Singen wir von Sorgen,
Schritt 3
Danach wählt der Dichter zunächst die Alternative einer doppelsinnigen Anrufung:
Textbeispiel:
Aus Freude Vater! Singen wir von Sorgen,
doch freut wie dunkler Wein, auch ernster Sang,
Mit dem Rückgriff auf die ursprüngliche Versstruktur 14,2 wird die zweite Zeile nochmals geändert, wiederum ohne Streichungen (die editorisch durch [ ] gekennzeichnet sind):
Textbeispiel:
Aus Freude Vater! singen wir von Sorgen,
Wie dunkler Wein, erfreut auch ernster Sang.
Schritt 4
Für die Änderungen im letzten Vers lassen sich keine Beziehungen zu den vorigen Korrekturen nachweisen; sie könnten ebensogut unmittelbar nach der ersten Niederschrift entstanden sein. In solchem Fall wird immer die räumliche Anordnung – das heißt der normale Schriftverlauf – mit der anders unbestimmbaren Variantenfolge gleichgesetzt. Der geänderte Schlußvers lautet zunächst:
Textbeispiel:
Auf vestem Pfade seinen Gang.
Dann erst:
Textbeispiel:
Auf schmaler Erde seinen Gang.
Demgemäß lautet der konstituierte Text 1, v. 13-16:
Textbeispiel:
Aus Freude Vater! singen wir von Sorgen.
Wie dunkler Wein, erfreut auch ernster Sang,
Das Fest verhallt, und jedes gehet morgen
Auf schmaler Erde seinen Gang.
Schritt 5
Ihre endgültige Gestalt erhält die Strophe erst bei einer Erweiterung und Überarbeitung des Entwurfs 1.
Textbeispiel:
Aus Freude Vater! singen wir von Sorgen,
Und sieh! aus Freude sagen wir
wie 1, v. 14
Schritt 6
Bei Überarbeitungen wird die Basiszeile in der Antiqua der zuvor konstituierenden Textstufe gesetzt. Wegen des Textzuwachses in dieser Entwurfsphase verschiebt sich die Verszählung. Der Schluß des Gedichtes bleibt unverändert und wird deshalb nicht nochmals dargestellt.
Siehe auch: Sattler D. E.: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Luchterhand Verlag, S 14 – 19.
Fragestellung:
Was ist ein emendierter Text?
Fragestellung:
Was ist ein Konstituierter Text?
Fragestellung:
Was ist ein differenzierter Text?

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[1] Möglicherweise störte Hölderlin der Binnenreim gefallt-verhallt. Zurück