Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers

Die Leiden des jungen Werthers (1774), dessen Briefroman-Modell Goethe von der Empfindsamkeit übernommen hatte, war der zweite deutschsprachige Text nach Geßners Idyllen, der eine europaweite Wirkung erzielen konnte. Der Roman war ein Buch über Bücher und ein Dokument der »Lesesucht« seiner Zeit: seine durchschlagende Wirkung erzielte das Werk durch die Suggestion unmittelbarer Authentizität, die ihr Fundament in Goethes und Werthers ausschweifender Lektüre hatte. Damit bot der Roman jedoch auch der damals aufkommenden »Lesesucht«-Debatte neues Futter.
Mit der Ausarbeitung des extremen Gegensatzes zwischen Werther als einem auf Selbstverwirklichung drängenden Individuum und einer Gesellschaft, die in ihrer rationalistischen Organisation erstarrt ist, gab Goethe dem Sturm und Drang sein wesentliches Thema. Zugleich zeigte er auch, inwieweit der Sturm und Drang als Gegenbewegung zur Aufklärung zu verstehen war: beide teilten zwar die Idee der Emanzipation des Individuums, dem Sturm und Drang lagen dabei jedoch andere Auffassungen von Individuum, Gesellschaft und Geschichte zugrunde als der Aufklärung.
15 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung publizierte Goethe den Roman in einer überarbeiteten Fassung erneut, in der unter anderem die Sprache geglättet, eine Nebenhandlung eingefügt und Figuren psychologisch differenzierter dargestellt wurden. Mit dieser Fassung setzte Goethe das deutliche Zeichen, dass der Sturm und Drang nun vorbei war.
Vgl. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte, S. 88f.

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Goethes Werther
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