Lessing und das Drama (Werke)

Mit seinem Stück Miß Sara Sampson (1755), das die Gattungstradition des »Bürgerlichen Trauerspiels« begründete, führte Lessing eine Konstellation des Scheiterns und des Gelingens einer bürgerlichen Ordnung vor. Er setzte darin die Darstellung bürgerlicher Wertvorstellungen fort, die mit Christian Fürchtegott Gellert begonnen hatte. Neu gegenüber Gellert war jedoch, dass das Tugendideal in Lessings Drama durchbrochen wurde: die titelgebende Sara Sampson verfällt dem Verführer Mellefont, verfehlt ihre familiären Pflichten und zeigt sich hochmütig gegenüber ihrer Konkurrentin Marwood.
In Lessings späterem Werk Emilia Galotti (1772), ebenfalls ein »bürgerliches Trauerspiel«, erreichte die Idealisierung bürgerlicher Moralvorstellungen in der Konfrontation adliger und bürgerlicher Lebensformen einen kritischen Höhepunkt. Sämtliche »bürgerliche Trauerspiele« Lessings zeigten dabei, dass die Familie als Ordnungszelle der Gesellschaft nicht mehr funktionierte. Zusätzlich deutete sich im Ende Emilia Galottis aber auch an, dass das Tugendideal der Aufklärung brüchig zu werden drohte. Neu in dem Stück war zudem die Einsicht in die bedrohliche Macht eines Unbewussten, für das Lessing noch keinen rechten Namen hatte, von dem er aber bereits wusste, dass es etwas anders war als die alten »Affekte« des vorangegangenen Jahrhunderts. In Emilia Galotti emanzipierte sich das Gefühl der Vernunft, doch es entfaltete dabei keine wohltätige, sondern eine zerstörerische Wirkung. Nichtsdestotrotz zeugt das Ende seines Dramas vom Sieg der (gewaltsamen) Vernunft und zeigt Lessing damit als Rationalist.
Seinen wichtigsten Beitrag zur Entwicklung des deutschen Dramas leistete Lessing jedoch mit der Komödie Minna von Barnhelm (1767), indem er individuelle Schicksale in die großen zeitgenössischen Entwicklungen einband. In dem Stück entfernte er sich weit vom Menschenbild der Frühaufklärung: die Hoffnung auf die Vernunft und die Einsichtsfähigkeit der Menschen war darin bereits im Schwinden begriffen. Zudem erweisen sich die sozialen und politischen Verhältnisse im Drama als eine eigene Macht, die dem Willen und Handeln der Menschen unerreichbar bleibt, wodurch ein Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft entsteht. Das Konfliktpotential in Minna von Barnhelm ist, wie auch in anderen Dramen Lessings, wesentlich durch gestörte Sprachbeziehungen und Zeichenrelationen bestimmt.
Bei Lessings berühmtestem Drama Nathan der Weise (1779) handelt es sich um ein Ideendrama, das eher in frühaufklärerischer Tradition steht. Am Schluss des Dramas findet sich die bürgerliche Familie zusammen und wird zum utopischen Modell für das Zusammenleben überhaupt. Lessings Nathan war ideen- und dramengeschichtlich ein Bindeglied zwischen Aufklärung und Klassik. Formtechnisch bereitete er mit dem Drama einer neuartigen Stilisierung den Weg, nämlich dem Blankvers, also dem reimlosen fünfhebiger jambischen Vers, der später zum Standardvers des klassischen Dramas in Deutschland wurde. Seinen eigentlichen Ruhm verdankte das Drama jedoch der Propagierung der großen Idee der bürgerlichen Aufklärung: der Toleranz gegenüber der anderen Religion.
Vgl. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte, S. 76-79 und 81f.

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