Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

Kennzeichnend für das Werk von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen ist die Loslösung von den Konventionen der barocken Literatur, von ihrer humanistisch gelehrten Tradition und von ihrer Situierung in einer höfischen Kultur. Sein Roman Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch (1668) gibt ein Panorama der barocken Lebenswirklichkeit und eine Bestandsaufnahme des barocken Weltbilds, zugleich trägt er aber auch erste Züge dessen vorsichtiger Überwindung. Grimmelshausen durchbrach endgültig die Stiltrennung, die seit der Antike bis zum 17. Jahrhundert bestand, indem er die Erfahrungen des alltäglichen Lebens zum Gegenstand literarischer Gestaltung machte, wobei die erlebte Welt bei ihm zum Gegenstand scharfer Kritik wurde.
Beim Simplicissimus handelt es sich um einen satirischen Roman, der die politische, soziale und konfessionelle Wirklichkeit seiner Zeit an der Idee des christlichen Lebens misst und dabei enttäuscht wird. Im Hintergrund des Werks steht eine dualistische Weltauffassung, wie sie auch bei Gryphius zu beobachten ist, also die Vorstellung, dass die diesseitige Welt ihren Halt und ihre Erfüllung im Jenseits finden wird. Den häufigen Reflexionen auf das Seelenheil steht dabei die handfeste Weltbewährung des Simplicissimus entgegen, deren Zentrum der Gedanke der curiositas, also der Weltneugierde, bildet.
Ein Jahr nach dem Erscheinen der fünf Bücher des Simplicissimus folgte schließlich noch die Continuatio als sechstes Buch der Reihe. Diese zeichnet sich gegenüber den Hauptteilen dadurch aus, dass in ihr in stärkerem Maße allegorische Episoden eingeschoben sind. Der Roman lässt sich dabei als ein Panorama der realen und spirituellen Ängste von Grimmelshausens Zeitgenossen lesen, in dem nahezu alle Elemente des atrocitas-Katalogs vertreten sind.
Als einprägsamstes Leitmotiv sticht die Einsicht in die Unbeständigkeit der Welt im Simplicissimus hervor. Ebenfalls zentral sind das Motiv des Lesens und Schreibens, das in Grimmelshausens Werk immer wiederkehrt, und das Problem der Sprache, also dass die bewährten Modelle der Erfahrung und der Sprache nicht mehr zur Weltbewältigung ausreichen. Im Simplicissimus tritt das Lesen dabei in doppelter Gestalt auf, nämlich sowohl als inhaltliches Motiv im Handlungszusammenhang wie auch als Reflexion über das Lesen des Romans selbst. Insgesamt bleibt der Roman unentschieden, da er einerseits Konzeptionen aufgreift, die einen fortgeschrittenen Stand der Weltauffassung verraten, andererseits aber die heilsgeschichtlichen Weltdeutungsperspektiven des Barockzeitalters nicht preisgibt. Dieser Dualismus macht das Werk zu einem charakteristischen Repräsentanten der Übergangsepoche, als die sich das ausgehende 17. Jahrhundert darstellt.
Als weitere bedeutende Werke von Grimmelshausen gelten Der seltzame Springinsfeld, Das wunderbarliche Vogelnest, Trutz Simplex, Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche, Ewigwährender Calender und Ratio Status. Sein Romanwerk und insbesondere sein Simplicissimus sind als letzter Höhepunkt der Barockliteratur anzusehen. Grimmelshausen hatte damit eine modellbildende Wirkung und zahlreiche Nachahmer, darunter Christian Weise mit Die drey ärgsten Ertznarren in der gantzen Welt, Christian Reuter mit Schelmuffsky sowie Johann Beer mit Teutsche Winter-Nächte und Kurtzweilige Sommer-Täge.
Vgl. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte, S. 45-49.

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Grimmelshausen
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