inventio (mit Topik)
lat.: Findung, Erfindung
inventio: erstes Produktionsstadium der Rhetorik: Finden der Gedanken und Möglichkeiten, die
sich aus einem Thema bzw. aus einer Fragestellung entwickeln lassen
In dieser ersten Phase der Rede- oder Textproduktion gilt es, zu einem vorgegebenen
oder vorgenommenen Thema möglichst viele inhaltliche oder gedankliche Aspekte zu entwickeln,
die bei der Darstellung des Themas (innerhalb eines bestimmten Zweckzusammenhangs)
zum Einsatz kommen können oder sollen.
Es gilt also Stoff und Material zu ‚sammeln’, um das Thema angemessen – und das kann
durchaus schon eine bestimmte Perspektive oder gar Parteinahme umfassen – behandeln
zu können. (Will man etwa eine Person loben, braucht man kaum Nachforschungen über
ihre Fehlleistungen oder negative Eigenschaften anstellen.)
Für die inventio kann der Redner oder Textproduzent im Prinzip drei unterschiedliche,
weitgehend von der Rhetorik unabhängige Fähigkeiten benötigen:
- Er kann (vom zu behandelnden Thema natürlich abhängige) Sachkenntnisse einsetzen.
- Er kann sich auf seinen eigenen Einfallsreichtum verlassen, der natürlich auf das
Thema ausgerichtet sein muss.
- Er kann ein (auch) im Kontext der Rhetorik entwickeltes regelgeleitetes Fragesystem
in Gang setzen, um seinen Gegenstand oder Stoff zu durchleuchten: die Topik.
Die Topik ist eine Kunst des systematischen Fragens. Sie soll die Technik bereitstellen, den
Gegenstand der Rede nach seinen argumentativen Möglichkeiten zu durchleuchten. Dabei
werden dem Redner bestimmte Denkprinzipien bzw. Suchpfade an die Hand gegeben, die
zu bestimmten Orten (lat.: loci; griech.: topoi) im übertragenen Sinne führen, an
welchen die Argumente zu finden sind. Diese Orte können annähernd systematisch durchgegangen
oder abgefragt werden und ergeben zusammen ein schlüssiges Gesamtbild. Üblicherweise
geschieht dies mit (im Deutschen) W-Fragen: Wo, Wann, Wie, Womit geschah was mit wem
durch wen usw.? Die Topik stellt somit einen Katalog von Suchformeln dar.
Vor allem in der Frühen Neuzeit wurde die Topik als Lehre vom organisierten Suchen
nach Inhalten ersetzt durch eine Topik, die bestimmten Themen bestimmte Inhalte –
etwa in Form von Katalogen – zuweist und somit zunehmend standardisierte und konventionalisierte
inhaltliche Füllungen produziert. Dieser Prozess ist zu erklären durch die Orientierung
frühneuzeitlicher Textproduktion an (antiken) Textmustern und Mustertexten (vgl.
imitatio veterum
imitatio veterum
produktionsästhetisches Grundprinzip: Orientierung der Textproduktion an vorbildhaften
Mustertexten oder Textmustern (aus der Antike)
).
© Uwe Spörl / Letzte inhaltliche Änderung am: 08.04.2007
|
inventio (mit Topik)
|
|
|