Textbeispiel:
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
vor einem Jahr habe ich in meiner ersten Neujahrsansprache gesagt: Überraschen wir
uns damit, was möglich ist! Das Jahr 2006 hat gezeigt, dass das keine bloße Rede-Wendung
sein muss.
Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Sie wie ich denken dabei sicher zuerst
an die sportlichen Höhepunkte, besonders an die Leistung von Jürgen Klinsmanns Fußballnationalmannschaft.
Die hatte allen Pessimisten zum Trotz eine großartige WM gespielt. Sie und viele andere
haben 2006 gezeigt, was mit Fleiß, mit Zielstrebigkeit und dem Glauben an die eigenen
Stärken möglich ist.
Und die Welt war in diesem Sommer wahrlich zu Gast bei Freunden. Wir Deutschen haben
das Mitreißende von schwarz-rot-gold gespürt. Wir haben damit ein neues, ein schönes
Bild von Deutschland in die Welt getragen. Und das trägt weiter – auch über die Wochen
des Sommermärchens hinaus.
Denn ein klares Bekenntnis zu unseren Werten und Wurzeln und ein friedliches und tolerantes
Zusammenleben – das sind keine Gegensätze, das geht zusammen. Auf dieser Grundlage
hat die Bundesregierung sich vorgenommen, einen Integrationsplan für die bei uns lebenden
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erarbeiten. Sie hat auch zum ersten
Mal einen ernsthaften Dialog mit Vertretern der Muslime begonnen. Nur wer zu sich
selbst steht, kann Respekt von anderen erwarten. [...]
Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Auch politisch. [1] Die Arbeitslosigkeit ist in diesem Jahr um fast eine halbe Million Menschen zurückgegangen.
Die Zahl der offenen Stellen steigt. Das Wirtschaftswachstum ist doppelt so hoch wie
2005. Immer weniger Unternehmen gehen pleite, und 2007 werden wir die geringste Neuverschuldung
seit der Wiedervereinigung haben. [...]
Verantwortung zu übernehmen – zu Hause, in Europa und der Welt – das ist am Ende immer
sehr konkret. [2] Ich danke deshalb allen Helferinnen und Helfern, ich danke den Polizistinnen und Polizisten,
den Sanitätskräften, und ich danke unseren Soldatinnen und Soldaten, die im Augenblick
auch unter Einsatz ihres eigenen Lebens fern der Heimat helfen, Frieden und Stabilität
zu sichern. [...]
Wir wollen mehr Chancen am Arbeitsmarkt insbesondere auch für die eröffnen, die es
schwerer als andere haben: die Älteren, die geringer Qualifizierten, die Langzeitarbeitslosen.
Wir wollen die Erziehungskraft der Familien stärken. Dabei dürfen wir unsere Augen
nicht davor verschließen, dass eine immer größer werdende Zahl von Familien heute
nicht mehr allein ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen kann. [3] Schicksale wie das des kleinen Kevin in Bremen zeigen das. Fassungslos haben wir sie
in diesem Jahr verfolgt. Jeder einzelne von uns, aber auch der Staat –- wir dürfen
nicht zur Tagesordnung übergehen oder wegschauen! Wir müssen uns einmischen!
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir sollten uns für das kommende Jahr wie für
das zurückliegende Jahr wieder vornehmen: Überraschen wir uns damit, was möglich ist!
[4] Das beginnt übrigens bei jedem von uns ganz persönlich: zum Beispiel mit einem Gespräch,
einem ausgedehnten Spaziergang, einem Besuch oder indem wir mal das Handy ganz bewusst
ausschalten, auch wenn dies manchem, wie zum Beispiel auch mir, zunächst einmal ungewohnt
erscheinen mag. Sie werden sehen, wie gut all das für das Miteinander ist.
Und so wünsche ich Ihnen allen ein gutes, ein erfülltes und ein gesegnetes neues Jahr
2007.
Angela Merkel: Neujahrsansprache 31.12.2006