ars - natura

lat.: Kunst(fertigkeit) – Natur(zustand)
ars - natura: Ein (quasi) natürlicher (Normal-)Zustand steht einer künstlichen, bewusst gemachten und mit Zwecken behafteten Abweichung von der Norm gegenüber
Diese strukturelle Grundunterscheidung, die ein Norm-Abweichungssystem hervorbringt, kann innerhalb der Rhetorik auf vielen verschiedenen Ebenen zum Tragen kommen, immer jedoch stehen sich eine natürliche oder als natürlich unterstellte Norm auf der einen Seite und eine wirkungsbezogene und kunstfertig eingesetzte Abweichung von dieser Norm auf der anderen Seite gegenüber.
Ein Beispiel hierfür ist im Bereich der
dispositio
dispositio
zweites Produktionsstadium der Rhetorik: Auswahl, Gewichtung, Anordnung und Gliederung des in der inventio ‚gefundenen’ Stoffes
angesiedelt. Hier kann man etwa zwischen der ordo naturalis (natürliche Ordnung: sachgemäße Darstellung eines Gegenstandes wie er ‚natürlich’ vorliegt) und der ordo artificialis (künstliche Ordnung: Präsentation innerhalb eines Textes, in dem man manches betonen, manches zurückstellen, einiges herausstellen, anderes weglassen oder in dem man die natürliche zeitliche Reihenfolge vertauschen kann) unterscheiden (vgl.
Ordnung
Ordnung
Ausgehend von unserer Lebenswelt erwarten wir, dass auch das Geschehen in fiktionalen Welten zeitlich geordnet ist. Der Discours kann sich an diese Ordnung halten, oder sie auch verändern. Da wir uns Zeit als linear vorstellen, gibt es drei Formen der Ordnung:Der Discours kann die Ordnung der Ereignisse einhalten. (A B C)Der Discours kann von der Ordnung abweichen, indem ein Ereignis, das sich in der Geschichte erst noch ereignen wird, îm Discours an früherer Stelle erzählt wird: Prolepse (A C B)Der Discours kann von der Ordnung abweichen, indem ein Ereignis, das sich in der Geschichte früher ereignet hat, im Discours an späterer Stelle dargestellt wird: Analepse. (B A C)
).
Der ganze Bereich der
elocutio
elocutio
drittes Produktionsstadium der Rhetorik: Umsetzung des strukturierten Redestoffes in sprachlichen Ausdruck bzw. Text
stellt den normalen, gewöhnlichen Ausdruck eines Sachverhaltes dem rhetorisch-künstlerischen oder kunstfertigen (ornatus) gegenüber:
Figuren
(rhetorische) Figur
Abweichung von der sprachlichen Normalform auf der syntagmatischen Ebene
und
Tropen
(rhetorische) Trope
Abweichung von der sprachlichen Normalform auf der paradigmatischen/semantischen Ebene
sind in diesem Sinne Abweichungen von der natürlichen bzw. üblichen Ausdrucksweise. Hier weicht z.B. ein Schriftsteller von der Norm ab, um mit Hilfe von rhetorischen Figuren und Tropen eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
Wie man – rhetorischer Lehre nach – vom Natürlichen/Normalen/Üblichen abweichen kann, beschreiben die rhetorischen
Änderungsoperationen
Änderungsoperationen
Arten von Veränderungen, die nach rhetorischer Auffassung an (sprachlichen, kommunikativen) Normalformen vorgenommen werden können
.
Erläuterung:
Das folgende stark reduzierte Beispiel verdeutlicht die Begriffe ‚ars’ und ‚natura’ im Sinne von ‚Norm’ und ‚Abweichung’ unter Berücksichtigung der rhetorischen
Änderungsoperationen
Änderungsoperationen
Arten von Veränderungen, die nach rhetorischer Auffassung an (sprachlichen, kommunikativen) Normalformen vorgenommen werden können
Es ist bezogen auf eine sprachliche Norm(alform), von der in verschiedenen Arten und Weisen bewusst abgewichen wird. Es ist somit dem Produktionsstadium der
elocutio
elocutio
drittes Produktionsstadium der Rhetorik: Umsetzung des strukturierten Redestoffes in sprachlichen Ausdruck bzw. Text
bzw. ihrer spezifischen ars, dem ornatus, zuzuordnen:
Subjekt Prädikat Ojekt
natura Ich mag Dich X
ars Zusatz Ich mag Dich sehr
ars Wegfall Ich mag X X
ars Umstellung Dich mag ich
ars Austausch Ich mag ihn

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