Asianismus/Attizismus
Über Stil und Stile lässt sich – wie über Geschmack – entweder trefflich oder überhaupt
nicht streiten. Während jedoch die drei traditionellen rhetorischen Stilniveaus oder
genera dicendi
genera dicendi
Stilniveau-Typologie der traditionellen Rhetorik
durch die
aptum
aptum
Norm der Rhetorik: wirkungsorientierte Abstimmung von Elementen oder Momenten
aus unterschiedlichen Bereichen des Textes bzw. der Textproduktion
-Regeln bestimmten Themen, Personen, Situationen usw. zugewiesen werden können und
somit zweifelsfrei nebeneinander als (weitgehend) gleichberechtigt anerkannt werden
können, gibt und gab es in der abendländischen Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichte
immer wieder massive Auseinandersetzungen um den ‚richtigen’ Stil.
Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung um die einander entgegengesetzten
Stilideale des Attizismus und des Asianismus. Der Attizismus definiert sich – nach
dem Modell der
imitatio veterum
imitatio veterum
produktionsästhetisches Grundprinzip: Orientierung der Textproduktion an vorbildhaften
Mustertexten oder Textmustern (aus der Antike)
– durch Orientierung an den Rednern des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. in Athen,
insbesondere an Isokrates, dem ein schlichter und sachlicher Stil (im Sinne des
genus humile
genus humile
(die unterste) Stilebene: einfaches, aufwandloses Stilniveau (zur Vermittlung von
Sachverhalten)
) bescheinigt wird. Der Asianismus wird diesem Ideal gegenüber herabgesetzt, da er
sich an der ‚schwülstigen’, an nutzlosen Effekten und Affekten interessierten rhetorischen
Praxis hellenistischer Redner in der (römischen) Provinz Asia orientiert.
Und so kann man – durch Zuordnung eines Autors oder Textes zu einem dieser Ideale
(vgl.
opting in / opting out
opting in / opting out
doppelte Funktionalität von Stil(en) aller Art: sich einer bestimmten Gruppe anzuschließen
(opting in) bzw. sich von einer bestimmten Gruppe abzusetzen (out)
) – diesen hochschätzen oder herabwürdigen, je nachdem, welche Konjunktur das jeweilige
Stilideal bei einem bestimmten Publikum gerade hat. Dies ist etwa dem römischen Redner
Cicero widerfahren.
In ähnlicher Weise sind immer wieder Stilideale – etwa der Manierismus – verfochten
oder verabscheut worden, freilich weitgehend unabhängig davon, was genau unter dem betreffenden Begriff zu verstehen ist.
© Uwe Spörl / Letzte inhaltliche Änderung am: 09.04.2007
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Asianismus / Attizismus
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