genus grande
lat.: hohe, große, erhabene Art (des Stils)
genus grande : (die höchste) Stilebene: hohes Stilniveau zur Erregung starker, pathetischer Affekte
Das genus grande (oder auch:
genus sublime,
genus vehemens) dient der Erregung starker, pathetischer Affekte beim Publikum (
movere
movere
Wirkungsprinzip der persuasio: Beeinflussung durch Erregung von Leidenschaften bzw.
durch Affekterregung.
oder auch
flectere = Beugen). Dementsprechend unterliegt das genus grande weder von der Sache her noch
bezüglich der zulässigen rhetorischen Techniken in der
elocutio
elocutio
drittes Produktionsstadium der Rhetorik: Umsetzung des strukturierten
Redestoffes in sprachlichen Ausdruck bzw. Text
irgendeiner Einschränkung, da es ausschließlich auf die Funktion der Erregung starker
Affekte ausgerichtet und deshalb auf sprachlichen
ornatus angewiesen ist. Hierbei sind sowohl pathetische Ausdrücke und Stilmittel sowie starke
Abweichungen von der Umgangssprache erlaubt – im Bereich der
Figuren
(rhetorische) Figur
Abweichung von der sprachlichen Normalform auf der syntagmatischen Ebene
wie im Bereich der
Tropen
(rhetorische) Trope
Abweichung von der sprachlichen Normalform auf der paradigmatischen/semantischen Ebene
.
In klassischen Reden wird das genus grande immer dann gerne verwendet, wenn das Publikum
im Interesse des Redners und/oder seiner Partei mehr oder weniger offensichtlich manipuliert
werden soll. Dabei treten die jeweiligen Sachverhalte in den Hintergrund und die häufig
übertrieben kunstvoll wirkende Rede und damit auch der Redner selbst werden fokussiert.
Im Bereich der Literatur und Poesie im eigentlichen Sinne ist das genus grande ebenfalls
dort einschlägig, wo es um die Erregung starker Affekte geht, etwa in Tragödien, Oden
und den großen Epen mit ihren in der Regel ‚erhabenen’ Gegenständen (vgl.
Transformation der genera dicendi).
Das ‚Erhabene’ – wie die Bezeichnung „genus grande“ auch übersetzt worden ist – wird
zudem im Verlauf des 18. Jahrhunderts von einer rhetorischen zu einer ästhetischen
Kategorie transformiert, zur Ergänzung der anderen zentralen ästhetischen Kategorie,
dem ‚Schönen’.
© Uwe Spörl / Letzte inhaltliche Änderung am: 09.04.2007