Auftakt/Anakrusis

Auftakt/Anakrusis: Metrisch-rhythmische Gestaltung des Versanfangs
(Versgrenzen
Versgrenzen
Die Grenzen des Verses, d.h. Versanfang und Versende, sind optisch wie auch akustisch in der Wahrnehmung besonders herausgehoben.
).
Der Auftakt bezeichnet entweder pauschal den Bereich am Versanfang vor der ersten
Hebung
Hebung
Durch das metrische Schema nach Anzahl und/oder Position festgelegte prominente Silbe im Vers (Silbenprominenz). – Hebungen können im konkreten Verstext und im Vortrag ‚realisiert’, d.h. sprachlich umgesetzt werden, dies ist aber keinesfalls zwingend (Rhythmus des konkreten Einzelverses; Einzelvortrag).
oder spezieller die Senkungen, die dem eigentlichen Metrum vorausgehen.
Problematisch an der ersten Verwendungsweise ist, daß damit die interne Differenzierung der zwei- und dreisilbigen
Versfüße
Versfuß
Aus der antiken Metrik stammende interne Gliederungseinheit des Verses, bestehend aus einer geregelten Abfolge von Hebungenund Senkungen
aufgehoben wird: Ein
Jambus
Jambus
(Griech. ›Sprung‹.) Zweisilbiger Versfuß der Form v –.
wird so zum
Trochäus
Trochäus
(Griech. ›Läufer‹.) Zweisilbiger Versfuß der Form – v.
mit einsilbigem Auftakt;
Anapäst
Anapäst
(Griech. ›Zurückprallender‹.) Dreisilbiger Versfuß der Form v v –.
und
Amphibrachys
Amphibrachys
(Griech. ›auf beiden Seiten kurz‹.) Dreisilbiger Versfuß der Form v – v.
werden auf den
Daktylus
Daktylus
(Griech. ›Finger‹, wohl mit Bezug auf die Dreigliedrigkeit.) Dreisilbiger Versfuß der Form – v v.
zurückgeführt (mit zwei- bzw. einsilbigem Auftakt).
Die zweite, sinnvollere Verwendungsweise bezeichnet dagegen echte rhythmische Varianten bestimmter Versmaße.
Erläuterung:
Heut ritt ich im Traum x X x x X x
auf schneeweißem Pferde x X x x X x
ohne Zügel und Zaum x x X x x X
rings um die Erde. X x x X x
Und wo ein Dach, x X x X
war ein Treiben X x X x
hinter den Scheiben: X x x X x
Alles war wach! X x x X
Großäugig, tieflockig, X x x X x x
schmalfüßig, kurzrockig, X x x X x x
lugten die Kindlein X x x X x
der Menschen mir nach. x X x x X
Es handelt sich hier um einen gereimten, durchgehend zweihebigen Vers mit 1-2silbigen nicht-prominenten Intervallen (
Verse mit Füllungsfreiheit
Verse mit Füllungsfreiheit
Verse mit Füllungsfreiheit: Alternativbezeichnungen ›accentual verse‹, ›rein tonischer Vers‹ u.a. Flexibles Versmaß, bei dem die Hebungszahl festgelegt ist, die Anzahl der dazwischen liegenden nicht-prominenten Silben dagegen variiert.
,
Dol’nik
Dol'nik
(Von Russ. dolja - Teil.) Untergruppe der primär auf regelmäßiger Hebungszahl beruhenden Verse. Die Anzahl der nicht-prominenten zwischen den prominenten Silben variiert zwischen 1 und 2.
). Die rhythmische Grundfigur bzw. der dominierende metrische Baustein ist der
Choriambus
Choriambus
Viersilbiger Versfuß der Form - v v -.
(- v v -), mit dem der Vers unmittelbar einsetzt oder dem ein 1-2silbiger Auftakt vorgeschaltet ist (oben durch Unterstreichung hervorgehoben).
Allerdings ist die hier vorgelegte metrisch-rhythmische Rekonstruktion (zumal im Kontext von Morgensterns Gedichtsammlung Auf vielen Wegen) zwar naheliegend, aber keineswegs alternativlos. So könnte V. 3 durchaus auch dreihebig gelesen werden (X x X x x X).

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Auftakt/Anakrusis
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