praeteritio

lat.: Darüberhinweggehen
praeteritio: Gedankenfigur: explizite Auslassung von Gedanken und Sachverhalten
Die Gedankenfigur der praeteritio ist eine typische Figur durch Wegfall: Sie liegt vor, wenn ein Redner oder Autor explizit davon spricht, nun ‚Unwichtiges’ auszulassen. Dies kann er dann tatsächlich tun, etwa weil er diese Dinge tatsächlich für unwesentlich, für seiner Sache abträglich oder für peinlich hält.
Interessanter ist hingegen der annähernd ironische (vgl.
Ironie
Ironie
Trope: Ersetzung des eigentlichen Ausdrucks durch dessen Gegenteil oder Negation
Fall, wenn der Autor/Redner erklärt, er wolle sich nun relevanten Punkten nähern und dabei ‚Unwichtiges’ übergehen, dabei jedoch die unwichtigen Punkte der Reihe nach aufzählt. Denn damit richtet er unaufällig die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf Themen, deren Bearbeitung noch im Raum steht, ohne seine eigene Rede allzu ausschweifend zu fassen – und er ist so in der Lage, Dinge zu thematisieren, ohne über sie zu sprechen, da er sie ja – in einer praeteritio – übergangen und ausgelassen hat.
Erläuterung:
In einer Festrede zum Beispiel ist es sicherlich angemessen (vgl.
aptum
aptum
Norm der Rhetorik: wirkungsorientierte Abstimmung von Elementen oder Momenten aus unterschiedlichen Bereichen des Textes bzw. der Textproduktion
), peinliche Versehen des zu Lobenden zu verschweigen. Interessanter für alle Beteiligten wird eine solche Rede freilich, wenn der Lobredner die Affäre, die der Gelobte mit seiner, des Redners Frau hatte, zwar nicht eigens thematisiert (und so die Form wahrt), das Verschweigen aber im Sinne einer praeteritio explizit macht – und so die ‚Sache’ natürlich gleichwohl anspricht.
Eine praeteritio in diesem ironischen Sinne liegt auch in dem folgenden Textausschnitt vor, mit dem ein fiktiver Briefautor, Lord Chandos, sein Entschuldigungsschreiben dafür, dass er nicht mehr schreiben kann und wird, schließt und in dem er seiner Liebe und Dankbarkeit dem Adressaten gegenüber zum Ausdruck bringt, indem er schreibt, dass er genau dies nicht kann:
Textbeispiel:
Ich wollte, es wäre mir gegeben, in die letzten Worte dieses voraussichtlich letzten Briefes, den ich an Francis Bacon schreibe, alle die Liebe und Dankbarkeit, alle die ungemessene Bewunderung zusammenzupressen, die ich für den größten Wohltäter meines Geistes, für den ersten Engländer meiner Zeit im Herzen hege und darin hegen werde, bis der Tod es bersten macht.
Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief = „Chandos-Brief“

|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
praeteritio
|
|
|